Identifizierung geeigneter Untersuchungsgebiete

Ausgangssituation

Das Vorkommen von Urwald-Reliktarten ist eng an die Existenz von Alt- und Totholzbeständen gebunden, die im Idealfall über einen historischen Zeitraum am gleichen Ort vorhanden sein sollten, um den an sie gebundenen Lebensgemeinschaften eine Überlebenschance zu bieten. Diese sog. Habitattradition – ein über Jahrhunderte ununterbrochenes Besiedeln eines Lebensraums – ist gerade für immobile Arten wie holzbewohnende Käfer von großer Bedeutung.

Zentrale Aufgabe vor Beginn der Freilanduntersuchungen war daher, geeignete Waldstandorte im Saarland zu finden, die eine solche Alt- und Totholz Habitattradition aufweisen, d.h. Waldflächen zu finden, in denen bereits vor mehreren hundert Jahren bis heute Alt- und Totholz zum Bestandsbild gehörte.

Bei einer Projekt-Gesamtfläche von 46.600 ha Wald (Saarforst, beteiligte Kommunen, Privatwald) war es daher erforderlich, ein Verfahren zu entwickeln, welches unter Einbeziehung vorhandener Informationen eine Gebietskulisse identifiziert, in der eine solche ausgeprägte Habitattradition zu erwarten ist. Diese bildet letztendlich die Grundlage für die mittels Freilandarbeit zu bestimmenden Untersuchungsplots, in denen während der Projektlaufzeit die freilandökologischen Arbeiten durchzuführen sind.

Methodik

Da die Auswahl geeigneter Untersuchungsstandorte eine Auswertung raumbezogener Daten erforderlich macht, wurde eine Raumanalyse unter Verwendung von Geographischen Informationssystemen (GIS) durchgeführt. Das Ziel dieser Raumanalyse war die Identifizierung von Beständen, in denen aufgrund besonderer Standortbedingungen und/ oder historischer Nutzungsformen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Vorkommens der Alterungs- und Zerfallsphasen und der an sie gebundenen Strukturen und Arten besteht.

Folgende Kriterien wurden in die Analyse einbezogen:

  • Bestände, in denen aktuell die Baumarten Buche und Eiche in einem Alter von mindestens 160 Jahren in nennenswertem Holzvorrat vorkommen.

  • Bestände auf Steillagen, die wegen dieser Bewirtschaftungserschwernis i.d.R. nicht bewirtschaftet werden konnten

  • Bestände, die aufgrund der Standortgegebenheiten (v.a. Blocküberlagerung, Vernässung) rezent und historisch nur schwer forstlich genutzt werden konnten

  • Bestände mit historischer Mittel- oder Hutewaldnutzung, in denen nicht genutzte alte, knorrige Bäume überdauert haben

  • Bestände, in denen historische Waldgrenzen verlaufen und sich Bäume mit knorrigem Wuchs, Astbruch- und sonstigen „Fehlstellen“ etablieren und halten konnten

Datenquellen

Bis auf die historischen Waldnutzungsformen (Mittel- oder Hutewaldnutzung ) liegen zu allen Parametern flächendeckend Informationsgrundlagen vor:

  • Informationen zu rezenten Altholzbeständen sind in der Forstinventur enthalten

  • Steillagen können aus dem digitalen Geländemodell der Daten der Landesvermessung (LVGL) abgeleitet werden

  • Relevante Standortparameter lassen sich aus dem nahezu flächendeckend vorliegenden forstlichen Standortkartenwerk entnehmen

  • die historische Ausdehnung der Waldflächen und Lage der Waldgrenzen lässt sich aus historischen Kartenwerken ableiten

Die in die Untersuchung einfließenden Datenbestände des Staatsforsts, des Kommunal- und Privatwaldes sowie die Daten der Landesvermessung mussten vor der Analyse harmonisiert und in ein einheitliches Bezugssystem überführt werden.


Historischer Waldbestand und historischer Waldrand: Auswertung historischer Kartenwerke

Kartographische Grundlagen der historischen Auswertungen bildeten die Kartenaufnahme der Rheinlande durch Tranchot und von Müffling 1801-1820 (1:20 000) sowie der Topographische Atlas von Bayern 1812 – 1864 (1:50 000), die beide flächendeckend bei der Landesvermessung (LVGL) verfügbar sind.


Ableitung der Neigungsklassen aus dem digitalen Geländemodell

Zur Beurteilung der Geländesituation, ab welchem Neigungsgrad und ab welcher Ausdehnung der Hanglagen die Bewirtschaftung innerhalb des Bestandes historisch so eingeschränkt war, dass vermehrt mit Alt- und Totholzanteilen zu rechnen ist, wurde das Geländemodell des Saarlandes hinsichtlich verschiedener Neigungsklassen ausgewertet. Um kleinflächige Geländeformen wie schmale Bach- bzw. Trockentälchen, Bombentrichter und natürliche Kleinststrukturen (z.B. Mardellen) auszuschließen, wurde eine Mindestbreite der Zielflächen von 10m festgelegt. Als bewirtschaftungsrelevanter Grenzwert wurde eine Hangneigung von > 20° festgelegt (Expert Judgement).

 

Übernahme von Informationen aus den forstlichen Standortkarten

Azonale Standortbedingungen (Staunässe, Felsblöcke, Quellbereiche etc.) können die Bewirtschaftung von Beständen deutlich erschweren bzw. unmöglich machen. Des Weiteren befinden sich die hier vorkommenden bzw. angepflanzten Bäume oft außerhalb ihres physiologischen Optimums. Beide Faktoren können erhöhte Alt- und Totholzanteile im Bestand nach sich ziehen.

Ergebnis

Ziel der oben beschriebenen Analyse war die Vorauswahl von Beständen, in denen mit Alt- und Totholzstrukturen zu rechnen ist, die eine lange Habitattradition aufweisen und in denen daher Arten mit hoher Habitatkonstanz und gleichzeitig geringer Ausbreitungsfähigkeit (Urwaldreliktarten) überdauern konnten. Durch diese Raumanalyse konnten 558 Flächen identifiziert werden, bei denen zumindest eines der genannten Auswahlkriterien zutrifft; bei 154 Flächen sind zwei Kriterien erfüllt, 23 Flächen erfüllen alle Kriterien. Die abschließende Gebietsauswahl und Festlegung der eigentlichen Untersuchungsflächen aus diesem Flächenpool erfolgte durch Geländebegehung. Die Lage der ausgewählten 32 Untersuchungsflächen kann der Übersichtkarte auf dieser Webseite des BBV-Projektes entnommen werden.