Lebensraum Alt- und Totholz

Baum ist nicht gleich Baum und so kommt einer bestimmten Lebensgemeinschaft im Wald eine ganz besondere Bedeutung zu:

der Alt- und Totholzbiozönose.

Auch wenn die Bezeichnung „Totholz“ etwas anderes vermuten lässt, ist Alt- und Totholz ein Lebensraum, der in seiner nahezu unerschöpflichen strukturellen Vielfalt seinesgleichen sucht.

Es kommt stehend oder liegend vor, mit Pilzen und ohne, trocken, feucht, verbrannt, als Äste, Stämme, Baumstümpfe und in vielen weiteren Formen und Ausprägungen. Darüber hinaus durchdringt das nicht sichtbare Wurzelwerk des Altbaumes den Boden mit einer noch größeren Biomasse als im oberirdischen Teil. Durch seine vielfältigen Lebensraumstrukturen ist Totholz von zahlreichen Tier- und Pflanzenarten besiedelt, wobei Käfer (ca. 1.400 Arten) und Pilze (ca. 1.500 Arten) die beiden größten Gruppen darstellen. Hunderte von anderen Insektenarten, Spinnen, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, wie z.B. Fledermäuse, finden hier ebenfalls ein Zuhause, weshalb Totholz besser als „Habitatholz“ bezeichnet würde.
Da sich der Totholzbegriff in der bisherigen Literatur allerdings etabliert hat, wird er auch in unserem neuen Projektnamen weiter verwendet. In Altbaumbeständen mit kontinuierlicher Habitattradition (Habitatstrukturen, die über Jahrhunderte ununterbrochen im Wald bestehen und häufig in Urwäldern vorzufinden sind) können zudem sogenannte Urwaldreliktarten überleben.

Als Urwaldreliktarten werden in Deutschland u.a. 115 xylobionte (holzbewohnende) Käferarten bezeichnet, die folgende Kriterien erfüllen:

  • Stark verdrängtes, nur noch reliktartiges Vorkommen in den Wäldern Mitteleuropas
  • Bindung an Habitattradition und Kontinuität der Alters- und Zerfallsphase der Bäume
  • Hohe Ansprüche an Menge und Qualität des Totholzes

Trotz seiner strukturellen Vielfalt und seines Artenreichtums haftet allein schon der Bezeichnung „Totholz“ ein negativer Beigeschmack an. Alter und Tod sind Themen, mit denen sich unsere moderne, zusehends der Jugendlichkeit zugewandte Gesellschaft nicht gerne auseinandersetzt, wobei diese Sichtweise auch vor der Naturanschauung nicht Halt macht. So finden viele Menschen eine geordnete Fichtenmonokultur mit einem praktisch leer gefegten Waldboden optisch ansprechender als einen Wald mit hohem Alt- und Totholzvorkommen, dessen scheinbares Chaos aus alten und knorrigen Bäumen, Ast- und Zweigresten und modernden Baumstämmen der menschlichen Ordnungsliebe zuwiderläuft. Die Natur hingegen unterscheidet nicht zwischen Ordnung und Chaos, sie orientiert sich allein nach den Prinzipien der Vielfalt und Beständigkeit. Und wenn ein Baum sein natürliches Alter erreicht hat und nach vielen Jahrzehnten zu einem echten Baumveteranen gereift ist, dann entfaltet sich erst sein wahrer ökologischer Wert. Diese aus ökologischer Sicht entscheidende Lebensphase des Baumes fehlt aber leider fast vollständig in unseren Wirtschaftswäldern.