Erfassung der Holzpilze

Pilze, die sich von Holz ernähren, sind für die Tierwelt in alternden, anbrüchigen und abgestorbenen Bäumen von grundlegender Bedeutung. In Europa gibt es rund 1.600 Arten holzbewohnender Pilze mit Fruchtkörpern größer als ein Stecknadelkopf (Schlechte 1986). Die Fülle der Pilzarten erklärt sich durch die extrem variablen Eigenschaften der Holzsubstrate z.B. in Abhängigkeit von der Gehölzart, vom Volumen, vom Zersetzungsgrad, von der Art der Vorbesiedlung durch andere Pilze sowie von der mikro- und regionalklimatischen Exposition. Pilze sind in Mitteleuropa die einzige Organismengruppe, die die chemisch sehr komplexen Inhaltsstoffe des Holzes in für ökosystemare Schlüsselprozesse, wie z.B. die Stoffkreisläufe, die Humusbildung und die Regulation des Wasserhaushaltes, relevanten Mengen ab- und umbauen kann!
Ohne die noch häufig und fälschlich als „Baumschädlinge“ bezeichneten holzzersetzenden Pilze sind funktionierende und leistungsfähige Waldökosysteme undenkbar. Die an Alt- und Totholz gebundene Tierwelt ist von den Holzpilzen in zweifacher Hinsicht abhängig:

Pilze als Nahrungsquelle

Die nährstoffreichen Pilzfruchtkörper und die den Holzkörper durchziehenden Myzelien werden von diversen Tieren unmittelbar als Nahrungsquelle benötigt. So ist fast die Hälfte der bei uns heimischen Holzkäferarten auf die Leistungen der Pilze angewiesen Die Pilzgeflechte zerlegen die Holzsubstanz nicht nur. Sie sind vielmehr biochemische Fabriken, die komplexe Verbindungen herstellen. Darunter sind lebenswichtige Grundstoffe der Biosynthese wie z.B. Vitamine der B-Gruppe und das Steroidgrundgerüst, die ein Großteil der Holzinsekten nicht selbst aufbauen kann.

Pilze als Gestalter von Lebensräumen

Holzpilze sind für die Bildung diverser Mikro- und Makrolebensräume der Wälder unmittelbar und mittelbar verantwortlich. Schlüsselhabitate der Biodiversität, wie z.B. Baumhöhlen, Mulmkörper, Mulmtaschen, Spalten- und Gangsysteme, gehen zum größten Teil primär auf den pilzvermittelten Holzabbau zurück. Die Besiedlung lebender Bäume durch Pilze bewirkt eine ganze Kaskade von Folgeentwicklungen, wie z.B. den Bruthöhlenbau der Spechte und die Ausprägung differenzierter Großhöhlen durch nagende Insekten. Der Begriff Totholz umfasst ein sehr breites Spektrum von Speziallebensräumen. Totholz ist beinahe gesetzmäßig mit der Anwesenheit von Holzpilzen verbunden. Denn die Pilzsporen sind überall vorhanden und besiedeln frisches Totholz sowie lebende Bäume mit Schwachstellen im Borkenmantel meist in kürzester Zeit. Zwei Hauptgruppen sind zu unterscheiden:

  1. In lebende Bäume integrierte Totholzstrukturen.

  2. Abgestorbene Bäume bzw. Totholzstrukturen im eigentlichen Sinne.

Die Unterschiede sind gravierend

Totholz in lebenden Bäumen wird durch Transpirations- und Assimilatströme konstant mit Nährsalzen, Feuchtigkeit und Photosyntheseprodukten versorgt. Zudem ist Totholz in lebenden Bäumen zwangsläufig mit der Anwesenheit von 16 Pilzmyzelien verbunden, die den Stoffaustausch zwischen den Holzkompartimenten durch aktive Transportaktivität unterstützen bzw. teilweise bedingen. In abgestorbenen Stämmen sind die von lebendem Baumgewebe abhängigen Stoffströme erloschen. Ohne die vom Transpirationsstrom unterhaltene Durchfeuchtung von innen heraus trocknen große Teile des Holzkörpers stark aus bzw. unterliegen einem ausgeprägten Wechsel von Trocknung und erneuter Durchfeuchtung durch Zutritt von Niederschlagswasser. Als Folge unterscheiden sich die Pilz- und Insektenbesiedlung von Totholzkompartimenten lebender Bäume einerseits und die der stehend abgestorbenen Bäume andererseits erheblich.

 

Eine ganze Reihe von Pilzen ist für die erfolgreiche Etablierung im Holzkörper auf die stoffliche Versorgung durch lebendes Baumgewebe angewiesen. Diese Lebendbaumbesiedler benötigen zudem Schwachstellen im mechanisch-biochemischen Abwehrsystem der Bäume. Solche als Pilzeintrittspforten geeignete Schwachstellen sind:

  • Schürfrinnen, Schlagschäden und Anfahrschäden mit flächigem Verlust des Borkenmantels

  • Blitzrinnen mit Freilegung des Splintholzes

  • Ausbrüche von Ästen, Teilkronen und Stämmlingen

  • Große Astungswunden

  • Zwiesel mit Rissbildung und Abrissflächen von Zwieseln

  • Totäste, Totaststümpfe und Totastlöcher

  • Abgestrobene Stämmlinge und Teilkronen

  • Lebende Äste und Stämmlinge mit ungünstiger Stammanbindung

  • Bruthöhlenbau des Schwarzspechtes (bei lebenden Bäumen weitgehend auf die Rotbuche beschränkt)

  • Krebsbildungen und alte Maserknollen

Die Besiedlung vitaler Bäume durch spezialisierte Pilze führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Bildung von Großhöhlen, die für die waldtypische Biodiversität von entscheidender Bedeutung sind.

Totholz in lebenden Bäumen ist die Voraussetzung für das Auftreten spezialisierter Urwaldreliktarten. Hierbei kommt den Holzpilzen eine entscheidende Funktion bzw. Lenkungswirkung zu, weil die meisten Holzinsekten von den individuellen biochemischen Fähigkeiten der Pilzmyzelien abhängig sind, so nahezu 50% aller Holzkäferarten. Welche Pilzarten sich in Schwachstellen lebender Bäume oder an frischem Totholz ansiedeln, hängt von mehreren ineinandergreifenden Faktoren ab: Art der Stammverletzung (oberflächlich, tiefer in den Holzkörper reichend, Spezialnischen wie einwachsende Steiläste und Totäste), Gehölzart, Lokal- und Regionalklima und nicht zuletzt vom Zufall. Wegen der recht hohen Zahl der Lebendbaumbesiedler und der allgemein ubiquitären Anwesenheit der Sporen kommt das Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ häufig zum Tragen. So sind an die Rotbuche zum Beispiel der Gewöhnliche Austernseitling (Pleurotus ostreatus), der Behangene Seitling (Pleurotus dryinus), der Goldfell-Schüppling (Pholiota aurivella), der Laubholz-Weichporling (Spongipellis spumeus), der Flache Schillerporling (Inonotus cuticularis), der Gewöhnliche Lackporling (Ganoderma lipsiense), der Brandkrustenpilz (Hypoxylon deustum) sowie als mykologische Besonderheiten der Dickstachelige Schwammporling (Spongipellis pachyodon) und der Nördliche Stachelseitling (Climacodon septentrionalis) als typische Erzeuger verpilzter Stammreale und nach oft langen Entwicklungszeiten der Bildung von Stammhöhlen zu nennen.

 

Da zwischen Gehölz als Wirt und den Holzpilzen ein unablässiges evolutionäres Ringen zwischen Abwehr und Überwindung abläuft, findet die Spezialisierung mancher Pilzarten auf eigentlich für die Pilzabwehr gedachte sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe eine logische Erklärung. Im Falle des Kernholzes der Eichen hat sich der Leberpilz (Fistulina hepatica) an die Gerbstoffe angepasst: jahrzehntelang verdaut er nur die Gerbstoffe ohne die statisch wichtigen Gerüstmaterialien Zellulose und Lignin zu nutzen. Erst nach der Erschöpfung der Gerbstoffe verarbeitet das Myzel als Braunfäule-Erreger die Zellulosebestandteile mit der Folge einer allmählichen Aushöhlung des Stammes.

 

Sowohl die biochemische Charakteristik, als auch die Strategien der Holzzersetzung unterscheiden sich bei den Holzpilzen ganz erheblich. Die Art und Weise, wie die jeweilige Holzpilzart z.B. an einen lebenden Baumwirt herangeht, ist von elementarer Bedeutung für die zukünftigen Habitateigenschaften des betroffenen Stammes. Beispiele für zwei Holzpilzarten mit gegensätzlicher Herangehensweise z.B. an eine lebende Rotbuche sind der Zunderschwamm und der Goldfell-Schüppling.

Strategie schneller Tod des Wirtsbaums nach Beginn der Fruchtkörperbildung

Der Zunderschwamm (Fomes fomentarius) lebt jahrzehntelang endophytisch und unauffällig z.B. in lebenden Rotbuchen. Trockenstress, Immissionsschäden, mechanische Schäden wie z.B. Bruchereignisse oder natürliche Alterung lösen die Entwicklung einer intensiven, alle lebenswichtigen Stammbereiche vom Splint über das Kambium bis zum inneren Stammholz umfassenden Weißfäule aus. Die Folge ist ein vergleichsweise rasches Absterben des Baumes.

Strategie langer Erhalt des Wirtes bei kontinuierlicher Fruchtkörperbildung

Ganz anders verhält sich der Goldfell-Schüppling (Pholiota aurivella). Er etabliert sich im Buchenstamm z.B. über größere Borkenverletzungen, dicke Aststümpfe und größere Astlöcher. Sein Weißfäuletyp beschränkt sich über Jahrzehnte hinweg auf das innere Stammholz der Buche. Das Innere der Rotbuchenstämme ist anders als bei den Eichen nicht biochemisch durch Gerbstoffe geschützt. Der Goldfell-Schüppling höhlt die Buche zwar mit der Zeit oft vollständig aus. Da die lebenswichtigen Bereiche Kambium und Splint jedoch sehr lange funktionsfähig bleiben, kann sich der Baum durch kompensatorischen Zuwachs stabilisieren und als voll bekronter Höhlenbaum viele Jahrzehnte lang überdauern.

Der Zunderschwamm ist der dominante Lebendbaumbesiedler an Rotbuchen. Jahrzehntelang hat man ihn als „gefährlichen Feind alter Rotbuchen- und Birkenbestände“ bezeichnet. Dabei wurde völlig vergessen, dass der Zunderschwamm noch bis weit in das 19. Jahrhundert ein bedeutender Wirtschaftsfaktor war, so z.B. im Thüringer und im Bayerischen Wald. Sein hufförmiger Fruchtkörper war das Rohmaterial für den begehrten Zunder, aus dem bei weitem nicht nur Zündmaterial hergestellt worden ist. Der Zunder wurde vielmehr zu diversen Gegenständen des täglichen Gebrauchs sowie im Kunstgewerbe verarbeitet. Produktbeispiele sind Hüte, Taschen und reich verzierte Tischläufer.

 

Die Anwesenheit von Fomes fomentarius kann mit genanalytischen Methoden in den meisten älteren, äußerlich „normal“ erscheinenden Rotbuchen festgestellt werden. Myzelbildung, Holzabbau und Fruchtkörperbildung setzen dem bisherigen Kenntnisstand gemäß erst ein, wenn der lebende Baum durch Schäden wie Trockenstress, Immissionen und mechanische Verletzungen ausreichend vorbelastet ist. Der durch den Zunderschwamm erzeugte Holzzersetzungstyp ist eine simultane Weißfäule. Das heißt, dass alle Holzbestandteile, Lignin, Zellulose und Hemizellulose gleichzeitig abgebaut werden. Diese Weißfäule schreitet vergleichsweise rasch voran, sodass Schrumpfungsrisse entstehen. Die Risse wirken als Ausbreitungshilfen für das Pilzmyzel, das die Spalten mit dicken Matten flächig füllt. Der rasche Abbau der die Biegefestigkeit des Stammes gewährleistenden Zellulosefibrillen führt fast gesetzmäßig zu einem recht glatten Sprödbruch unter Bildung mehrerer Meter hoher Reststubben. Diese Hochstubben prägen das Erscheinungsbild naturnaher, alter Rotbuchenwälder. Daher eignen sie sich in Wirtschaftswäldern als aussagekräftige Naturnäheindikatoren. Solche Hochstubben natürlichen Ursprungs sind das Vorbild für die artenschutzgerechte Kompromisslösung, im Rahmen der Verkehrssicherung bei bruchgefährdeten Bäumen stehende Reststämme in situationsangepasster Länge zu belassen. Die Schlüsselstellung des Zunderschwamms für die waldtypische Biodiversität hat mehrere Gründe.

Die Substanz der großen, mehrjährigen Fruchtkörper ist eine ergiebige Nahrungsquelle. Ein ganzes Bündel von Schwarzkäfern (Tenebrionidae), Schwammpochkäfern (Anobiidae), Schwammkäfern (Cisidae), Echten Motten (Tineidae), Faulholzmotten (Oecophoridae) und Rindenwanzen (Aradoidea) nutzen die Fruchtkörper direkt als Nahrungsquelle. Die zweite Schlüsselfunktion der Zunderschwammfruchtkörper für die Alt- und Totholzbiozönosen ist die Bereitstellung großer Mengen an Sporen. In den witterungsabhängig zum Teil mehrmals im Jahr auftretenden Sporulationsphasen bilden sich auf manchen windgeschützt exponierten Fruchtkörpern Millimeter dicke Schichten aus weißlichem Sporenstaub. Besonders im Frühjahr ab Ende März ist das Sporenangebot des Zunderschwamms von zentraler Bedeutung für eine Vielzahl von Arthropodenimagines, die nach der Winterruhe aufgebrauchte Reservestoffe auffüllen müssen. Daher ist das durch die Holznutzung bedingte Defizit an Zunderschwämmen einer der wesentlichen Gründe für die Artenverarmung in vielen Wirtschaftsforsten.

Durch den Zunderschwamm ausgelöste Stammbruchereignisse können zu spektakulären Strukturen führen. Bleibt der Hauptstamm z.B. auf dem Reststubben liegen, so bilden sich über das umfangreiche Totholzangebot am direkt dem Erdboden aufliegenden und am frei dem Luftstrom ausgesetzten Substrat vielschichtige mikroklimatische Gradientenaus, die das Besiedlungspotenzial enorm erhöhen.

 

Die dritte, die Biodiversität entscheidend fördernde Eigenschaft des Zunderschwamms ist die kontinuierliche Erzeugung von dickem Totholz in Jahr für Jahr neuen Zersetzungsstufen und Varianten der sekundären Pilzbesiedlung. Viele Indizien sprechen dafür, dass sein Myzel die entscheidende Grundlage für die Etablierung einer Reihe von Holzpilzen mit hoher Aussagekraft als Naturnähezeiger darstellt. In der Folge des Zunderschwamms treten an Rotbuchenstämmen z.B. regelmäßig der Laubholz-Harzporling (Ischnoderma benzoinum) und als herausragender Naturnähezeiger der Buchen-Stachelbart (Hericium clathroides) auf. Ähnliche Zusammenhänge wie z.B. Parasitismus und Abhängigkeit von umgeformtem Holzsubstrat sind bei anderen für Buchenholz typischen Pilzgruppen sehr wahrscheinlich wie z.B. den Trameten, den Lackporlingen (Ganoderma), den Seitlingen (Pleurotus) und den Schüpplingen (Pholiota).